Auch diesen Sonntag gibt es eine kleine Adventsgeschichte von uns. Viel Freude beim Lesen!
Ein
kleiner Weihnachtsgast
Gestern hat es zu schneien
begonnen. Genau einen Tag vor Heiligabend.
Die weißen Flocken haben
alles wie in weiche Watte gehüllt. So wirkt die Welt friedlich und
schläfrig.
Auch in dem kleinen Wald
hinter dem Dorf ist alles still. Nur eine Eule ruft in der Dämmerung.
Die Bäume strecken stumm
ihre Äste wie knorrige Arme und Hände in den Himmel hinauf.
Und kein Lebewesen ist zu
sehen.
Oder doch?
Ein kleiner Igel reckt
schnuppernd sein kalt gefrorenes Näschen empor. Er schaut hier hin,
schaut dort hin, und bahnt sich mit seinen kurzen Beinchen mühsam
einen Weg durch den Schnee.
Ganz müde und erschöpft
sehen seine Augen aus. Sollte der kleine Kerl nicht längst seinen
Winterschlaf halten?
„Wenn ich doch nur einen
Unterschlupf finden würde“, denkt der Igel verzweifelt. „Einen
ausgehöhlten Baumstamm oder einen kuscheligen Laubhaufen
vielleicht.“
Doch alles ist unter der
dicken Schneedecke versteckt, so dass der Kleine nur umher irren
kann.
Jetzt fängt auch sein
Magen noch an zu knurren!
Wenn er nicht bald etwas
zu Essen findet, würde er nicht nur erfrieren, sondern auch
verhungern, denkt er. Was soll er bloß tun?
Der kleine Igel hört
einen Pfiff in der Ferne gellen, gefolgt von Hundegebell.
Doch das interessiert ihn
nicht. Fröstelnd hockt er sich unter einen kahlen Busch und bläst
sich die eisigen Pfoten.
Ach, hätte er sich doch
bereits vor vier Wochen eingeigelt – so wie die anderen.
Aber nein, er war ja zu
neugierig gewesen, wollte noch nicht schlafen, wollte den
herbstlichen Wald erkunden und... nun war es wohl zu spät!
Da hört er wieder das
Hundegebell. Diesmal klingt es viel näher.
„Auch das noch...“
Besorgt blickt sich der kleine Igel um und – eine dicke feuchte
Nase schnüffelt ihm entgegen!
Vor Schreck verwandelt
sich der Igel in eine stachelige Kugel, an der sich der Hund
schmerzhaft piekst. Wütend springt dieser zurück, bellt und knurrt.
„Was ist denn los,
Theo?“ fragt eine tiefe Menschenstimme.
„Sieh mal, Papa, was
Theo aufgespürt hat. Einen Igel!“ Ein Junge beugt sich zu dem Tier
hinab, dem beinahe das Herz stehen bleibt vor Angst. Vorsichtig
berührt eine kleine Hand seine Stacheln.
„Der arme Kleine“,
sagt der Vater des Jungen mitfühlend. „Hat wohl keinen Schlafplatz
für den Winter gefunden. Wenn er hier draußen bleibt, wird er
erfrieren.“
„Oh nein.“ Der Junge
blickt traurig auf den Stachelball. „Können wir ihn nicht mit nach
Hause nehmen?“
Anstatt zu antworten
schlägt der Mann den Kragen seines Wintermantels hoch und langt in
seine Taschen, um die Handschuhe hervor zu holen.
„Komm kleiner Kerl“,
sagt er und hebt den Igel vorsichtig auf, um ihn in seine tiefe
Manteltasche zu stecken. Dort ist es warm und sicher.
Hätte der Kleine nicht
solch einen mächtigen Hunger gehabt, wäre er wohl sofort
eingeschlafen.
„Wo auch immer ich hier
bin“, sagt er sich, „hier gefällt es mir. Ob ich gleich etwas
Leckeres zu Essen bekommen werde?“ Er denkt an einen saftigen
Apfel, einen fetten Wurm, an einen schmackhaft Käfer. Hmmm...
Eigentlich ist ihm alles recht, solange es das große Loch in seinem
Bauch stopft. Der Kleine schließt die Augen und erinnert sich an die
warmen Sommermonate, die jetzt lange her scheinen und während denen
er sich immer satt essen konnte, und genießt das leicht Schaukeln.
Der Mann, der Junge und
der Hund gehen nach Hause. Der Schnee knirscht unter ihren Schritten,
und der Frost beißt ihnen in die Nase – und der kleine Igel in der
Tasche träumt vor sich hin.
Doch schon bald greift
wieder etwas nach ihm und reißt ihn aus seinem wohligen Nest. Hätte
er gekonnt, hätte er lautstark protestiert, doch da hielt er inne.
Wo war er denn hier
gelandet?
Die große Hand setzt in
auf einen weichen Fußboden. Vor ihm steht eine große Tanne, an der
wohl hundert brennende Kerzen wachsen. Anstatt Zapfen trägt sie
bunte Kugeln. Und sie duftet so herrlich, dass der kleine Igel wie
verzaubert davor stehen bleibt.
„Florian und Laura, holt
ihm ein Schüsselchen mit Milch und Brötchen, ja?“ spricht die
tiefe Stimme hinter dem Igel, und zwei kleine Menschen springen auf
und laufen davon.
„Was für ein netter
kleiner Weihnachtsgast“, sagt eine freundliche Frau. Sie sitzt in
einem großen Sessel bei dem Kamin, in dem das Feuer prasselt.
Der kleine Igel reckt
wieder sein Näschen. Er tapst umher, schnüffelt und schmatzt, und
als ihm kurz darauf ein Napf voll Essen vorgesetzt wird, kann er
nicht anders, als sich darauf zu stürzen und alles gierig hinunter
zu schlingen.
Tut das gut! Noch nie
hatte ihm so etwas einfaches so lecker geschmeckt.
Die Menschen sehen ihm
beim Essen zu und lachen. Doch der Igel kümmert sich nicht um sie.
Schon längst hat er den
großen bunten Blätterhaufen dort drüben entdeckt, der so einladend
aussieht und glitzert. Das müssen wohl Blätter von einem ganz
besonderen Baum sein, denkt der Igel und wackelt auf seinen Beinchen
darauf zu.
Vorsichtig kriecht er
unter das Gewühl aus Geschenkpapier. Er rollt sich ein, sieht noch
verschwommen die Kerzen des Weihnachtsbaumes leuchten und schon
fallen ihm die Augen zu...
Laura lächelt. „Jetzt
hält der kleine Igel im Geschenkpapier Winterschlaf“, sagt sie.
Und alle denken, was für
ein schönes Weihnachtsgeschenk es doch ist, den Igel vorm Erfrieren
gerettet zu haben.
„Frohe Weihnachten“,
flüstert Florian ihm noch zu, doch der Igel ist schon längst im
Land der Träume.
(c) Sarah Lerche, 2015
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