Ich wünsche euch allen einen schönen 1. Advent
Auch wenn es hier gerade nur regnet, ist es doch kühl genug, um das Feuer anzumachen und gemütlich Stollen zu essen. Jona und Nellie spielen Gesellschaftsspiele und meine Große lernt für einen Englischtest. :-)
Und ich - habe diese alte Kindergeschichte von mir ein bisschen überarbeitet.
Die Postengel
„Guck mal, es schneit immer noch,
Marie. Es schneit und schneit und... Manchmal sehen die Schneeflocken
aus, als ob sie tanzen, oder?“ Julia und Marie saßen auf der
Küchenbank und drückten sich an der kalten Fensterscheibe die Nase
platt.
Es war mitten im Dezember und schon die
Hälfte der Türchen des Adventskalenders geöffnet. Die Fenster
waren mit bunten Sternen aus Tonpapier dekoriert, die die beiden
Mädchen an einem Nachmittag im November ausgeschnitten hatten. Und
auf dem Wohnzimmertisch stand der Adventskranz, auf dem inzwischen 2
Kerzen angezündet wurden.
Es war höchste Zeit den Wunschzettel
ans Christkind zu schreiben! Deshalb hatten Marie und Julia sich
heute eifrig ans Werk gemacht, und Maries Wangen waren beim Malen und
Kritzeln (wirklich schreiben konnte sie ja noch nicht) ganz rot
geworden – wie die Äpfel, die Mama ihnen zusammen mit Makronen und
Zimtsternen auf den Tisch gestellt hatte.
Als Marie wissen wollte, ob sie später
die Briefe zur Post bringen würden, hatte Mama den Kopf geschüttelt und erklärt: „Wir
legen sie heute Abend auf die Fensterbank. In der Weihnachtszeit
fliegen doch die Postengelchen umher und sammeln die Wunschzettel
ein.“
Danach hatte sie Julia angesehen und so
komisch mit dem Auge gezwinkert.
Marie machte große Augen vor Staunen:
„Wirklich, Mama?“
Diese nickte. „Ja, natürlich. Und
manchmal hinterlassen sie auch ein kleines Zeichen, dass sie
dagewesen sind...“ Mama lächelte geheimnisvoll.
Nun wollten die beiden kleinen Mädchen
natürlich unbedingt einen dieser Engel sehen.
Sie flüsterten miteinander als Mama
den Raum verlassen hatte.
„Wir könnten sie ja heimlich
beobachten“, wisperte Julia verschwörerisch. „Heute Nacht.“
„Heute Nacht?“ hauchte Marie und
sah fast ein bisschen ängstlich aus. Sie dachte an das Gespenst, das
immer unter ihrem Bett lauerte... Und an das Monster, das manchmal
auf dem Flur herum schlich, so dass die Dielen immer mal verdächtig
knackten.
„Glaubst du die fliegen bei diesem
Schnee?“ gab sie zu bedenken. „Dann werden sie ja ganz nass.“
„Dann zaubern sie sich eben wieder
trocken!“ Julia nickte überzeugt. „Der Schnee macht ihnen
bestimmt nichts aus.“
„Und wenn sie unsere Wunschzettel
vergessen?“ Besorgt blickte Marie auf ihr Briefchen, auf das sie
mit viel Sorgfalt Sternchen und eine Briefmarke gemalt hatte. Julia
hatte für sie mit krakeliger Handschrift 'an das Christkind' darauf
geschrieben.
„Na klar, Mama hat es doch
schließlings gesagt.“
Auch Julia hielt ihren Brief noch in
der Hand. Sie hatte ihn mit Engeln bemalt, die über das Papier
flogen und mit großen Händen Geschenke trugen. Sie konnte schon
etwas besser malen als Marie, aber sie war ja auch die ältere von
den beiden.
Und natürlich war auch ihre Wunschliste sehr viel länger als Maries.
„Wenn man groß wird, dann braucht
man einfach mehr - so ist das“, hatte sie ihre Schwester belehrt und versucht
mit großen Buchstaben 'Barbie Prinzessin' zu schreiben.
Nachts schlichen zwei kleine Kreaturen
in Nachthemden und mit Wolldecke umschlungen durch die Wohnung. Sie
schauten nach ihren Briefen, die immer noch auf der Fensterbank in
der Küche lagen. Dann stibitzten sie einige Pfeffernüsse aus der
Keksdose und setzten sich, um zu warten.
Sie warteten lange.
Marie baumelte ungeduldig mit den
Beinen.
„Meine Füße sind kalt.“
„Pssst!“ Julia legte ihren
Zeigefinger an den Mund.
Sie warteten weiter.
Marie gähnte, knabberte an den
Pfeffernüssen und gähnte erneut.
„Ich bin müüüde...!“ flüsterte
sie. „Vielleicht kommen die Engel heute Nacht ja gar nicht.
Vielleicht vergessen sie uns ja.“
Julia seufzte.
„So ein Blödsinn! Letztes Jahr haben
sie uns auch nicht vergessen.“
„Aber letztes Jahr habe ich gar
keinen Wunschzettel gemalt...“ gab Marie zu bedenken.
„Ja, aber ich! Das Christkind
vergisst niemanden.“
Marie überlegte kurz.
„Auch nicht in Afrika?“
Julia schüttelte den Kopf.
„Niemanden!“
„Auch nicht bei den Eskimos?“
„Frag nicht so viel!“
Julia trat ans Fenster und spähte in
die Dunkelheit. „Oh, ich glaube da kommt etwas!“
Marie sprang vom Stuhl und drängte
sich neben ihre Schwester.
Doch es war nur ein Autoscheinwerfer.
Drüben bei Frankes Schreibwarenladen kam in Schritttempo ein Wagen
um die Ecke gekrochen. Er bahnte sich einen Weg durch den Schnee und
verschwand wieder in der Dunkelheit.
Marie und Julia waren ein bisschen
enttäuscht.
„Julia, ich muss mal...!“
Als diese gerade über ihre Schwester
schimpfen wollte, ging das Licht in der Küche an.
„Mama...?!“ Die beiden Mädchen
waren erschrocken zusammen gezuckt und Julias Pfeffernüsse waren auf
dem Küchenfußboden gekullert.
„Was macht ihr denn hier, Kinder?“
Mama sah ziemlich müde und verschlafen aus, und auch nicht besonders
erfreut. „Ich dachte schon, hier sei ein Einbrecher. Wieso seid ihr
nicht im Bett? Es ist mitten in der Nacht!“
„Wir wollten auf die Postengel
warten“, erklärte Julia mit Unschuldsmiene, und hoffte Mama würde
ihnen nicht böse sein.
„Ach – und ihr denkt, die Engel
kommen, wenn hier zwei naseweise kleine Mädchen an der
Fensterscheibe hocken?“ Mamas Mundwinkel zuckten, doch sie
versuchte, ernst zu bleiben.
„Ab, marsch ins Bett mit euch beiden.
Sonst werden eure Wunschzettel vielleicht gar nicht abgeholt. Engel
sind sehr geheimnisvolle Wesen und wollen nicht gesehen werden.“
Marie und Julia seufzten enttäuscht,
hopsten dann aber von der Küchenbank und liefen in ihr Zimmer. Sie
fühlten plötzlich, wie müde sie eigentlich waren und kuschelten
sich unter ihre Bettdecke. „Und tropsding, Marie. Die Engel werden
uns bestimmt nicht vergessen“, murmelte Julia noch und schon war
sie eingeschlafen.
Draußen fiel unaufhörlich der Schnee
weiter und deckte die Welt unter sich zu.
Und niemand hörte das leise Kichern,
das aus der Küche drang, gefolgt von einem eindringlichen „psssst!“
Am nächsten Morgen schlug Marie
verschlafen die Augen auf. Sie hatte etwas geträumt... oder war es
Wirklichkeit gewesen? Sie hatte mit Julia in der Küche gehockt, im
Dunkeln, mitten in der Nacht, und...
Sie schlug die Bettdecke zurück und
lief eilig in die Küche. Die Briefe waren fort – sie waren
wirklich fort!
„Die Engel waren da!“ wisperte sie
aufgeregt zu sich selbst.
Ihre kleine Hand griff nach dem kleinen
Etwas, das auf der Fensterbank lag:
Eine weiße Feder - nein, zwei! - auf
denen etwas Goldstaub haftete.
Waren das etwa Engelsfedern?
Schnell lief sie zu ihrer Schwester ins
Kinderzimmer.
„Julia, Julia“, flüsterte sie ihr
ins Ohr.
Das Mädchen öffnete die Augen und
blickte Marie verwundert an.
„Was... was ist los?“ fragte sie
verschlafen.
„Julia, die Postengel waren da. Sieh
nur, was sie verloren haben!“
Strahlend hielt Marie ihrer Schwester
die Hand hin, so dass sie die Federn sehen konnte.
Julia bekam große Augen, dann grinste
sie. „Siehst du, sie haben uns nicht vergessen. Ich hab's ja gleich
gesagt. Das Christkind hat alle Kinder gleich lieb.“
Marie nickte eifrig und auf einmal war
den beiden ganz weihnachtlich zumute.
Sie legten die Federn neben die
Adventskerze auf den Kindertisch, so dass sie sie immer wieder
betrachten konnten, und freuten sich auf Heiligabend.
(c) Sarah Lerche, 2015